Dienstag, 14. Juli 2009

Memory

Es ist ein nebliger Tag an dem man sich die Jacke gerne etwas fester um den Körper zieht. Ich trete ein in Flors Haus. In Deutschland würde man dies als Hütte bezeichnen: Holzwände mit Wellblechdach, 6 Personen wohnen in dem einzigen Raum. Aber die Familie ist gerade dabei anzubauen. Im kleinen Hof hinter dem Haus wurden schon Fundamente für einen weiteren Raum gelegt - hier soll mal ein zwei bis dreistöckiges Haus entstehen. Doch noch fehlt das Geld für weiteren Zement und die Eisenstangen ragen etwas verwaist aus der ersten kleinen Mauer.

Flor ist 13 Jahre alt und ihre Diagnose lautet Down-Syndrom. Sie geht Nachmittags in die Schule, die Vormittage verbringt sie oft alleine, ihre Geschwister sind in der Schule oder beim Hausaufgabenmachen. Der Vater der von Beruf aus Strassenbauer ist, arbeitet gerade in einer Mine, wie lange er fortbleiben wird, weiss keiner. Die Mutter putzt zweimal die Woche für eine Familie und verdient so das allernötigste Kleingeld für die Familie.

Heute ist die Mutter zu Hause, kniet über einer Waschschüssel und schrubbt die Wäsche. Nach einer Weile setzt sie sich zu Flor und mir an den Tisch. Wir unterhalten uns, Flor untersucht meine Hand auf Leberflecken und ich hole ein kleines Memory-Spiel aus der Tasche. Ein Werbegeschenk der Deutschen Bahn das mein Bruder mir gab. Wir spielen: Zunächst legen wir die Kaertchen mit dem Bild nach oben und suchen die Paare - ui, so viele Züge, rote, graue, grau-rote... dazwischen Papageien, Motoraeder, Sonne, Mond.
Dann drehen wir die Karten um und spielen richtig.
Die erste Runde ist schwierig, ja du darfst zwei Karten umdrehen, nein nicht drei, auch nicht so lange suchen, bis du das Gegenstück gefunden hast, ich bin jetzt dran...

Nach der dritten Runde ist klar wie das Spiel funktioniert und Flors Mutter und ich sind überrascht: Flor ist wahnsinnig gut! Sie gewinnt alle folgenden Runden locker, ich bekomme nur noch durch glückliche Zufälle überhaupt ein Paar ab und Flor scheint schon bevor sie die Karten umdreht zu wissen wo was liegt.
Ihre Mutter ist skeptisch, "sie denkt halt anders als wir" - so ihre Erklärung.

Aber dann bemerkt sie, dass sie gerade gemerkt hat, was ihre Tochter, die von allen immer schräg von der Seite angeguckt wird, alles kann. Sie grinst mich kurz an, steht auf und beugt sich wieder über ihren Waschtrog.
Flor stößt mich an: "Noch mal" und wir mischen die Karten und spielen noch mal.