Montag, 31. August 2009

Der Zirkus als Erzieher

Zirkus ist Kunst, ist Aufregung, Spektakel und Show.
Zirkus bedeutet Freiheit, bedeutet Form,
Bedeutet sich in Geduld zu üben,
Bedeutet ausgelassen sein.
Verzweiflung und Freude.
Zirkus bedeutet Begegnung-
Mit sich selbst und mit den anderen.
Entwicklung, Entfaltung. Schwachsinn und Tiefsinn.
Humor, Ernst und Spannung.
Zirkus ist Musik, ist Tanz, ist Bewegung und Stillstand.
Zirkus ist Zauber, ist Artistik, ist Geschick, ist Spiel.
Zirkus ist bedeutend,wenn er lebendig ist.
Zirkus ist tot, wenn er tot ist.
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Zirkus ist soviel und gerade deswegen ist er auch wieder nichts. Es gibt ihn nicht. Man kann kein Bild an die Wand malen: "Das ist der Zirkus." Der Zirkus entsteht durch die Leute die ihn erschaffen. Er ist wie das Leben. Lebendig. Nie gleich.
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Am Samstag, den 29. August beendeten wir unseren Zirkusunterricht an der Schule "La Casa de Cartón" mit einer gelungenen Aufführung zum 25. Geburtstag der Schule. 38 Kinder haben in 15 Minuten vor Lehrern, Eltern, Mitschülern und Gästen das gezeigt, was sie in einem halben Jahr Unterricht gelernt haben. Für mich ein Grund zur Freunde. Auch aber ein Grund zurückzublicken, Resümee zu ziehen und sich zu erinnern - an das was gut war, und an das was schlecht war.Angefangen haben wir mit unserem Unterricht im März, zu Beginn des Schuljahres. Anstatt eines gemeinsamen Kunstunterrichts können sich die Oberstufenschüler im "La Casa de Cartón" klassenübergreifende Kunstkurse wählen. Nach einem Semester werden die Kurse gewechselt, so dass jeder Schüler pro Jahr zwei Kunstkurse belegen kann. Zur Wahl stand "Theater", "Tanz", "Musik", "Literarisches Schreiben" und "Zeichnen."Der Zirkuskurs den ich mit Nina zusammen angeboten habe zielte darauf ab, dass die Jugendlichen sich mit verschiedenen Disziplinen des Zirkus beschäftigen, eine Disziplin verstärkt einüben, sie "perfektionieren" und diese dann im Rahmen einer Aufführung präsentieren. Unser Schwerpunkt war die Jonglage mit Bällen, Poi und Devilstick. Einen großen Teil hat aber auch das Stockfechten und Stelzenlaufen eingenommen. Während Akrobatik auch seinen Platz in den Zirkusstunden fand wurden Disziplinen wir Theater und Zauberei so gut wie gar nicht beachtet. Um den Gruppenzusammenhalt zu stärken und die Stunden abwechsunlgsreicher zu gestalten haben wir viele Spiele in den Unterricht mit einbezogen. Nachdem wir die ersten zwei bis drei Monate viel mit der ganzen Gruppe gearbeitet haben bildeten sich am Ende des Semesters einzelne kleine Grüppchen die sich in ihrer Kunst, auch im Hinblick auf die Aufführung, spezialisierten.

Die Durchführung des Projektes stellte mich und die Schüler gleichermaßen auf die Probe. Wir scheiterten regelmäßig - standen aber immer wieder auf. Für mich war es das erste Projekt dieser Größenordnung. Die Arbeitbedingungen waren hervorragend. Im "Casa de Carton" sieht man die Kunst nicht als ein randständiges Beiwerk an sondern als elementare Bildungaufgabe. Es geht hier nicht um Nachmittagsbespassung sondern um Hilfe zur Selbstentwicklung. Dies wird auch durch die Anzahl der Wochenstunden deutlich, die sich mit manchen Hauptfächern vergleichen lässt. Beleuchtet man den Zirkus, oder mehr noch die Kunst im Algemeinen, unter dem Gesichtspunkt der ästhetischen Erziehung wird ihre Bedeutung in der Erziehung deutlich. Was die Kunst macht ist, dass sie den ganzen Menschen anspricht - Kopf, Herz und Hand. Es werden Geschichten erzählt, die kognitiv erfasst werden müssen, anderseits wird durch das Einüben von Kunststücke der Körper angesprochen, was ja von Bedeutung ist für die gesamte geistige Entwicklung. Die Entwicklungsprozesse in der Gruppe, das Theater und die Clownarie sprechen die Seele der Artisten an. Die Idee ist ja, so hat es der deutsche Pädagoge Hartmut von Hentig ausgedrückt, dass keine Erziehung für die Kunst geschieht, sondern eine Erziehung an der Kunst. Wir lernen nicht für den Zirkus sondern von dem Zirkus. Der Zirkus ist also nicht etwas was wir den Kinder vorsetzen sondern etwas was im Prozess immer neu entsteht. Lehrer und Schüler tragen gleichermaßen zum Gelingen des Projekts bei. Es geht nicht um eine pädagogische Inszenierung der Wirklichkeit sondern um eine gemeinsam entwickelte Wirklichkeit die pädagogisch wirken kann.

Die Semesterplanung stellte Nina und mich vor eine Herausforderung die wir jedoch gut meistern konnten. Mehr zu kämpfen hatte ich mit der spanischen Sprache. Es ist unglaublich kräftezehrend vor einer Schulklasse zu stehen und mit den Worten zu ringen. Das tragische an der Sache ist, dass man reden will, dass man Ideen hat, diese aber oft nicht ausdrücken kann.
Von den Schülern verlangt der Zirkus eine Menge an Konzentration, Geduld und Willenskraft. Worum es geht sind ja nicht in erster Linie die Kunststücke. Vielmehr geht es um die Begegnung. Zuerst mit sich selbst, seinem eigenen Körper, seinem eigenem Können und Unvermögen, danach um das Zusammenspiel mit den Klassenkameraden. Was ich den Schülern vermitteln will ist die Fähigkeit eine Sache richtig und gut zu tun, sich einem Ziel zu widmen und es mit Konzentration und Hartnäckigkeit zu verfolgen. Die Tücken der Jongliermaterialien fordern mich und stellen mich auf die Probe. Ich kann die Aufgabe annehmen oder scheitern. Man muss die guten Ideen am Schopf packen und festhalten, sonst erlischen sie wieder wie Strohfeuer. Hartnäckigkeit, so scheint es, ist in Peru eine seltene Tugend. Ich will an einen weiteren Gedanken von Hartmut von Hentig anknüpfen. Der Pädagoge und Autor hat ein Buch veröffentlicht mit dem Titel: "Bewährung - über die stärkende Erfahrung, nützlich zu sein." Hier geht es ihm um den Wert der Erfahrungen im direkten Wirklichkeitszusammenhang gemacht wird. Der Gedanke findet sich in der Erlebnispädagogik von Kurt Hahn wieder oder dort wo Kinder Gärten oder Tiere pflegen. Gegenüber dem "Lernen auf Vorrat" was in der Schule oft praktiziert wird können die Kinder auch im Zirkus an den Dingen direkt lernen und sich entwickeln. Der Hamburger Professor Jürgen Funke- Wieneke führt in seinen Überlegungen über den Zirkus fort: “Um zu erkennen, wer wir selbst sind und sein können, müssen wir nicht in uns gehen, sondern – umgekehrt- aus uns heraus gehen.” Er beschreibt, dass wir in Gestalten und Objekten der Umgebung die Eigenschaften und Möglichkeiten entdecken, die auch Möglichkeiten unserer selbst sein können. “Am hüpfendem Ball entdecke ich meine eigene Springlebendigkeit, an der Katze die eigene Geschmeidigkeit, am Zauber das Geheimnisvoll- Magische meines eigenen Wesens.” Der Zirkus kann ein solches reiches Umfeld anbieten.

Natürlich rufen diese Argumente und Gedanken nicht unbedingt nur nach Zirkus. Genausogut kann eine andere der oben genannten Kunstformen zu einer ästhetischen Erziehung beitragen. Ein jeder Schüler muss sich in der Kunst seine Ausdrucksform suchen. Bei einigen ist das Malen, bei anderen Zirkus. Die Organisation des Kunstunterrichts im “Casa de Cartón” ist für mich daher beispielhaft. Nicht zu letzt ist es wichtig, dass der Lehrer in seinem Fach zu Hause ist. Leidenschaft entsteht da, wo sie geteilt und weitergegeben wird.
Was mich bei unserer Aufführung am meisten beeindruckt hat war zweifelsohne die Spannung die vor und hinter der Bühne geherrscht hat. Es ist immerwieder beeindruckend zu sehen wie sich Kinder und Jugendliche in Hinblick auf einen solchen Höhepunkt verändern. Während sich Nina mit den Schülern hinter der Bühne aufhielt war es meine Aufgabe vor der Bühne für Musik und Unterstützung zu sorgen. Wir entschieden uns für ein schlichtes Aufführungskonzept das auf viel Schnickschnack verzichtet. Es gab keinen Erzähler, wenig Kostüme, dafür aber schnell geschnittene Musik die die fließend wechselnden Zirkusnummern begleitete. Der Titel der Darbietung war “Reise durchs Universum.” Die acht verschiedenen Nummern sollten das Bild erwecken von acht verschiedenen Planeten. Nachdem 19 Schüler mit einer Stockkampfdarbietung die Show eröffneten folgte eine Poi Nummer von drei Schülern. Den Mittelpunkt bildete eine Darbietung mit Bällen und Diabolos, eine weitere Stockkampfnummer von fünf Schulerinnen, sowie eine Choreographie mit Devilsticks an der sechs Schüler beteiligt waren. Bevor die Aufführung mit einer gemeinsamen Pyramide zum Ende kommt, wird ein Stelzentanz sowie eine weitere Poi Nummer präsentiert. Gerne hätte ich die acht Nummern noch einmal gesehen da auch ich im Moment der Aufführung so unter Spannung stand, dass ich nur das wahrgenommen habe was ich unbedingt wahrnehmen musste. Das wird nicht möglich sein. Trotzdem weiß ich, und das tröstet mich, dass der Zirkus mich sicherlich auch noch in Zukunft verfolgen wird.
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von Sebastian

Fotos vom Zirkus: hier

Dienstag, 14. Juli 2009

Memory

Es ist ein nebliger Tag an dem man sich die Jacke gerne etwas fester um den Körper zieht. Ich trete ein in Flors Haus. In Deutschland würde man dies als Hütte bezeichnen: Holzwände mit Wellblechdach, 6 Personen wohnen in dem einzigen Raum. Aber die Familie ist gerade dabei anzubauen. Im kleinen Hof hinter dem Haus wurden schon Fundamente für einen weiteren Raum gelegt - hier soll mal ein zwei bis dreistöckiges Haus entstehen. Doch noch fehlt das Geld für weiteren Zement und die Eisenstangen ragen etwas verwaist aus der ersten kleinen Mauer.

Flor ist 13 Jahre alt und ihre Diagnose lautet Down-Syndrom. Sie geht Nachmittags in die Schule, die Vormittage verbringt sie oft alleine, ihre Geschwister sind in der Schule oder beim Hausaufgabenmachen. Der Vater der von Beruf aus Strassenbauer ist, arbeitet gerade in einer Mine, wie lange er fortbleiben wird, weiss keiner. Die Mutter putzt zweimal die Woche für eine Familie und verdient so das allernötigste Kleingeld für die Familie.

Heute ist die Mutter zu Hause, kniet über einer Waschschüssel und schrubbt die Wäsche. Nach einer Weile setzt sie sich zu Flor und mir an den Tisch. Wir unterhalten uns, Flor untersucht meine Hand auf Leberflecken und ich hole ein kleines Memory-Spiel aus der Tasche. Ein Werbegeschenk der Deutschen Bahn das mein Bruder mir gab. Wir spielen: Zunächst legen wir die Kaertchen mit dem Bild nach oben und suchen die Paare - ui, so viele Züge, rote, graue, grau-rote... dazwischen Papageien, Motoraeder, Sonne, Mond.
Dann drehen wir die Karten um und spielen richtig.
Die erste Runde ist schwierig, ja du darfst zwei Karten umdrehen, nein nicht drei, auch nicht so lange suchen, bis du das Gegenstück gefunden hast, ich bin jetzt dran...

Nach der dritten Runde ist klar wie das Spiel funktioniert und Flors Mutter und ich sind überrascht: Flor ist wahnsinnig gut! Sie gewinnt alle folgenden Runden locker, ich bekomme nur noch durch glückliche Zufälle überhaupt ein Paar ab und Flor scheint schon bevor sie die Karten umdreht zu wissen wo was liegt.
Ihre Mutter ist skeptisch, "sie denkt halt anders als wir" - so ihre Erklärung.

Aber dann bemerkt sie, dass sie gerade gemerkt hat, was ihre Tochter, die von allen immer schräg von der Seite angeguckt wird, alles kann. Sie grinst mich kurz an, steht auf und beugt sich wieder über ihren Waschtrog.
Flor stößt mich an: "Noch mal" und wir mischen die Karten und spielen noch mal.

Mittwoch, 17. Juni 2009

Schule, Schule, zur Schule

von Nina

Die Schule für Menschen mit Behinderung liegt nahe des Rathauses von Villa el Salvador. Mit dem Bus brauchen wir 20 Minuten von Rosas Haus aus.
Wir das sind: Rosa, ihre Mutter, ein Nachbarskind, ich und noch eine andere Freiwillige. Und was wir wollen: Das Rosa auf diese Schule gehen kann!
Im Schulhof müssen wir warten und schauen uns um. Von Mauern umgeben bietet die Schule ein recht schönes Bild aus Grünflächen und Gebäuden. Nachmittags gibt es zwei Handwerksstätten, dort werden Ketten, Armbänder und Handyaufhänger hergestellt. Die Jugendlichen in den Werkstätten arbeiten mit Zange, Draht und Perlen - kann Rosa bei einer dieser Werkstätten mitmachen?

Wir werden zum Schulpsychologen gerufen. Eine harte Fragestunde beginnt. Rosas Mutter ist so nervös, dass sie nicht mehr das Geburtsdatum ihrer Tochter weiss. Die Situation ist angespannt, Rosa dem Weinen nah, als der Psychologe erklärt, dass seit Beginn des Jahres nur noch Kinder mit mehrfacher Behinderung die Schule besuchen dürfen. Anweisung vom Staat.

Als Rosa fünf war, hatte sie eine Krankheit und kann seitdem ihre Hand nicht mehr richtig bewegen, dazu kommt, dass sie sich wenig merken kann. Jetzt ist Rosa 16 Jahre alt und seid sie acht ist nicht mehr zur Schule gegangen. Die staatliche Schule wollte sie nicht mehr, da sie nicht Lesen und Schreiben lernen konnte.

Der Psychologe fragt die Mutter, ob sie nicht nach einer anderen Schule gesucht hätten: "Nein".

In solchen Momenten bin ich ein leidenschaftlicher Verfechter der Schulpflicht. Wie kann es sein, dass Eltern ihre Kinder einfach zu Hause behalten dürfen? Wie kann es sein, dass sie nicht nach Möglichkeiten suchen, sondern etwas akzeptieren, was noch lange nicht akzeptiert werden muss?
Ja natürlich weiss ich, dass in Deutschland die Schulpflicht ein umstrittenes Thema ist und wie überhaupt sollte in Peru so etwas um- oder durchgesetzt werden?

"Los niños solo son prestados" - Die Kinder sind nur geliehen... sie gehören uns nicht, wir können mit ihnen nicht machen was wir wollen...

Da stoße ich an den schwierigen Punkt, wie weit sich der Staat mit seinen Gesetzen in das Familienleben einmischen darf. In Deutschland habe ich viele Diskussionen darüber gelesen. Wann darf das Jugendamt eingreifen, was sollen Sozialarbeiter machen und was ist mit Pflichtuntersuchungen für Kinder?
Fragen die in Deutschland auftauchen, die hier nicht gestellt werden können, da es weder Jugendamt noch Sozialarbeiter gibt. Und Pflichtuntersuchungen? Gerade jetzt ist der Staat dabei eine Krankenversicherung für Menschen mit wenig Geld bereitzustellen, damit diese eher schlecht als recht, aber wenigstens überhaupt zum Arzt gehen können, wenn sie krank sind. Aber gesunde Kinder?
Über die genaue Arbeit des Jugendamtes mag man in Deutschland streiten, nicht aber darüber, ob eine solche Einrichtung generell notwendig ist. Der Staat soll eingreifen, wo Familienstrukturen versagen.

Das Gespräch ist beendet. Der Psychologe geht raus, spricht mit der Direktorin, wir bleiben zurück und warten - ich bin mir nicht mehr so sicher. Warten, wir machen irgendwelche blöden Witze, um die Anspannung nicht ins Unendliche wachsen zu lassen.

Warten - wird es klappen?

Der Psychologe kommt zurück,
setzt sich, wir starren ihn an
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"sie kann bleiben".

Ich halte den Atem an und fange an zu verstehen, was er da gerade sagt. Ich schaue in die Runde. Dieser Gesichtsausdruck, wenn man nicht genau weiss, ob jemand weint oder lacht. Dankbarkeit, Erleichterung.

Der Psychologe erklärt uns das weitere Vorgehen. Die Schule ist umsonst, nur das Fahrtgeld muss von den Familien getragen werden und Rosa braucht einen Ausweis. Da sehe ich schon wieder die ersten Hürden. Wie soll die Familie die 80 Sol im Monat aufbringen, die für den Transport nötig sind?
Vielleicht muss ich jetzt auch einfach aufhören zu fragen und mich freuen: Rosa wird zur Schule gehen! Einfach hoffen, dass alles klappt und das sich irgendwann, Schritt für Schritt auch das ganze Land in diese Richtung wendet.

Für heute verlassen wir das Schulgelände. Was bleibt ist eine völlig erschöpfte Mutter und einen strahlende Rosa. Ihre Augen leuchten - genau wie meine.

Montag, 15. Juni 2009

Junio

von Nina

1925 war Lima noch so groß wie Freiburg, mit 220.000 Einwohnern. Heute wohnen hier mehr als 8 Millionen Menschen, genau weiss es keiner. Wenn ich auf Wikipedia über Lima lese, finde ich nicht die gewohnten Bilder, sondern Kolonialbauten und moderne Hochhäuser. Das ist also das Bild, was von Lima verbreitet werden soll. Vielleicht zutreffend, da das auch das Bild ist, was die meisten Menschen, die Lima besuchen, erleben.
Von Osten aus den Anden fließt der Fluss Rimac nach Lima. Bevor er Lima erreicht, fließt er an 27 Minen vorbei und wird etliche Male zur Stromgewinnung genutzt.. Kaum erreicht er Lima wird der komplette Fluss in eine Stromgewinnung- und Trinkwasseraufbereitungsanlage geleitet - doch wie lange wird das noch so gehen? Berechnungen sagen, dass der Gletscher der den Rimac speist noch bis 2015 existieren wird.

Und dann?

Darüber scheinen sich hier eher weniger Leute zu sorgen. Der Präsident, Alan Garcia, hat jetzt erstmal mit seinem Programm "Agua para todos" allen in den nächsten Jahren Wasser versprochen. Ob es ALLE werden werden ist fraglich, aber es wird eifrig gebaut, Wasserleitungen, Wassertanks, Wasserpumpen, Wasserhähne. Im Moment verbrauchen die Menschen die in den Randbezirken bisher ohne Wasseranschluss leben zehn mal weniger Wasser als die Menschen in der Stadt. Dafür zahlen die zehnmal mehr für ihr Wasser, da es im Tankwagen geliefert wird. Sind die Wasserleitungen einmal verlegt und angeschlossen, bleibt der Geldbetrag den die Menschen für Wasser ausgeben meist gleich - nur die verbrauchte Wassermenge verzehnfacht sich...

Natürlich ist es keine Lösung die Menschen am Rande Limas einfach nicht ans Wassernetz anzuschliessen, damit sie weniger Wasser verbrauchen. Hier wird eifrig darüber diskutiert, ob es ein Recht auf Wasser gibt. Alle brauchen Wasser, dass ist klar, aber was es bestimmt nicht gibt, ist ein Recht darauf, Wasser zu verschwenden.

Vielleicht sind auch Lösungen in Sicht: im Rathaus von Lima wird über Trockenklos als Alternative nachgedacht - die ersten Modellklos werden bereits gebaut.

Vor einigen Wochen war ich bei einem Vortrag auf dem eine neue Erfindung für saubere Luft vorgestellt wurde: Der Superbaum! Das Logo stellt ein grossen Baum mit Gesicht dar, der seine Arme in die Hüften stützt. Allerdings geht es nicht wirklich um einen Baum, sondern um einen Maschine, die alle möglichen Partikel aus der Luft zieht, mit Hilfe eines Wasserfilters. Auch mehr Sauerstoff sei am Ende in der Luft. 400 solcher Maschinen sollen nun an den schlimmsten Kreuzungen in Lima aufgestellt werden. Aus der vier Meter hohen Maschine fuhrt ein Schlauch in einen kleinen Bushäusschen ähnlichen Glaskasten. Dort kann man sich reinstellen und fortan saubere Luft atmen. Eine Pause nehmen von der verschmutzten Abgas-Luft.

Der Referent erzählte, dass das Pflanzen von echten Bäumen zwar nett sei, da sie Sauerstoff produzieren, die richtig gefährlichen Stoffe allerdings, nämlich die Staubpartikel, nicht aus der Luft zögen. Diese Maschine scheint die Revolution überhaupt zu sein, wenn das stimmt - schön. Allerdings fragte ich mich während des ganzen Vortrags, warum so viel Zeit darauf investiert wird, die Staubpartikel am Ende aus der Luft zu ziehen - weshalb fängt man nicht andersrum an und beginnt die Autos mit Filtern auszustatten. Verhindern, dass die Partikel überhaupt in so einer großen Zahl in die Luft kommen. Prävention...

Mir kommt es so vor, als ob viele Diskussionen über Umweltschutz, Gesetze und mehr, die in Deutschland schon seit langem geführt werden, hier erst in den Kinderschuhen stecken. Vielleicht gehen sie auch einfach zwischen zu vielen Liebesliedern und Reis mit Hühnchen verloren. Vieles kommt mir unreflektiert vor. Manchmal kann ich nur mit dem Kopf schütteln, so zum Beispiel als ich gestern an einer riesigen Werbetafel vorbeifuhr auf der stand: "5. Juni Tag der Umwelt: Der Planet braucht uns"

Wenn das die hier vorherrschende Meinung ist, dann wird mir einiges klar.

Noch ein anderes Thema: Gerade können wir hier Waldpolitik live und in schlimmsten Ausmaß miterleben: Vor einiger Zeit hat Peru einen Freihandelsvertrag mit den USA unterschrieben. Dieser Freihandelsvertrag schreibt vor, dass Peru sich öffnen muss und bestimmt Ressourcen zugänglich werden müssen für Firmen. Daraufhin hat Peru seinen Amazonasregenwald "verkauft" und durch ein Gesetz möglich gemacht, dass sich Firmen Konzessionen kaufen können, um fortan Bodenschätze, Holzvorräte sowie Pflanzen und Tiere auf der Fläche "nutzen" können. Für Peru hat das den Vorteil, dass es einerseits viel Geld gibt, das Fläche, die für den Staat im Moment wenig Verwendung hat, genutzt wird und außerdem, dass das Holz, das im peruanischen Regenwald geschlagen wird, endlich eine vermeidlich legale Herkunft hätte.

Nur - eine Sache hat der peruanische Staat dabei vergessen: Im Regenwald leben Menschen! Und zwar nicht wenige, und diese Menschen haben - sogar per Gesetz festgeschrieben - Mitspracherechte! Sie dürfen mitentscheiden, wenn es um ihr Land geht. Natürlich waren die Waldbewohner (Indígenas) nicht einverstanden mit dem Gesetz während es allen anderen ziemlich egal zu sein schien. Nach friedlichen Protesten, Versuchen der Kommunikation ist die Situation letzte Woche eskaliert und es kam zu Kämpfen zwischen Indígenas und Polizei. Es gab zahlreiche Tote, Straßen wurden blockiert, die Titelblätter sämtlicher Zeitungen waren rot. Was vorher keinen interessiert hatte, war nun Thema Nummer eins. "Barbaren", "Wie können sie nur", "Kulturlose" - so wurden die Indígenas beschimpft. Kaum eine der Zeitungen machte sich die Mühe mal die Hintergründe zu beleuchten, im Gegenteil, es war einen wunderbare Möglichkeit Vorurteile zu bedienen und die Indígenas einmal mehr als Steinzeitmenschen darzustellen.

Mittlerweile hat sich die Regierung dazu bequemt noch mal über die Situation nachzudenken, das Forstgesetz wurde erstmal ausgesetzt und wird jetzt neu verhandelt - dieses Mal vielleicht unter Einbezug der Bewohner des Waldes? Ich hoffe es.

Abseits von den politischen Mysterien die hier in großer Zahl auftauchen, bleibt auch der Alltag spannend: So frage ich mich zum Beispiel warum ein schwarzhaariger Mensch sich die Haar schwarz färbt - wie zum Beispiel eine Schülerin vom Zirkus - und am Ende auch noch wirklich anders aussieht - irgendwie schwärzer...

Nun ja, einiges was ich wohl nie verstehen werde, aber auch wir sind für viele Kinder hier ein großes Rätsel. "Siehst du durch deine Augen eigentlich alles blau?"

... mmmh, und du alles braun?


Und zum Schluss noch was zu uns: Alles gut ; )

Für Fotos klickt hier

Und hier einen interessanten Artikel zu Plastikmüll.

Dienstag, 9. Juni 2009

Ecken von Barranco

Damit ihr auch mal seht, dass es sehr schöne Ecken in Lima gibt, bekommt ihr hier mal eine Auswahl von Orten in Barranco.
Barranco ist eines der ältesten Viertel von Lima, und entsprechende Häuser gibt es.
Aber seht selbst, hier.

Donnerstag, 4. Juni 2009

Projekte auf betterplace.org

Hola ihr lieben Leute!

Kennt ihr eigentlich betterplace.org?

Wenn nicht ist es höchste Zeit es kennen zu lernen!
Seit heute haben wir nämlich zwei Projekt auf Betterplace!
Also, was ist das denn überhaupt?

Betterplace.org ist eine Seite auf der jeder seine Projekte präsentieren kann. Auf der ganzen Welt und zu jedem Thema. Wer ein Projekt auf der Seite präsentiert, erzählt also ein bisschen darüber, um was es geht, was erreicht werden soll - und auch, was zum Gelingen des Projektes noch gebraucht wird. Andere lesen dann über dieses Projekt, finden es toll und spenden dafür. Diese Form des Spendens ist viel direkter als einer großen Organisation zu spenden, da das Geld direkt in ein konkretes Projekt fließt. Jeder kann direkt nachfragen bei den Verantwortlichen des Projektes und es gibt Fotos und Berichte wie das Projekt voranschreitet.

Ich finde es ist eine tolle Seite - darum habe ich sie jetzt genutzt, um dort zwei Projekte zu präsentieren, in denen ich hier arbeite.

http://www.betterplace.org/projects/1493 - Hier findet ihr das Projekt über die Hausbesuche bei Familien mit behinderten Kindern.

http://www.betterplace.org/projects/1507 - Hinter diesem Link steht das Nebelfängerprojekt.

Achtung: Ich schreibe euch das nicht, weil ich möchte, dass ihr für diese Projekte spendet, sondern vielmehr darum, weil ihr so über die Projekt lesen und Fotos sehen könnt und so ein bisschen mehr Einblick habt, was ich hier eigentlich so mache in Peru ; )

Wer Lust hat, kann sich einen Account bei betterplace.org machen und die dort Projekte bewerten. Wer die Projekt vor Ort kennen gelernt hat, kann sich auch als Besucher, bzw Fürsprecher eintragen. So wird gewährleistet, dass es sich um "echte" Projekte handelt.

Wenn ich Zeit habe, werde ich auch noch versuchen, die Projekt auf Englisch zu übersetzen. Betterplace.org ist ein Seit die aus Deutschland kommt. Die meißten Spender kommen auch aus Deutschland, darum habe ich erstmal mit einer Projektbeschreibung auf Deutsch angefangen.

Sonnige Grüße, Nina

Donnerstag, 23. April 2009

Das Bild der Armut

von Nina


Wenn eine Gegend arm aussieht, dann werden Menschen darauf aufmerksam. Wenn Muell herumliegt, die Kinder mit toten Hunden spielen und alles grau und dreckig ist, dann kommen Organisationen und besuchen die Familien.

Sie gucken in die Haeuser und wenn sie auch dort viel Dreck, schmutzige Klamotten und Muellberge sehen,
dann ist klar: Hier muss etwas passieren.

Sie fragen die Menschen, ob sie Baeume geschenkt haben wollen.
Diese nicken.

Ein paar Wochen spaeter veranstaltet die Organisation einen "Arbeitstag". Alle helfen mit, raeumen den Muell und die toten Hunde woanders hin, pflanzen Baeume.

Fuer einen Moment erstrahlt das Viertel, gruen statt Muell.

Die Tage gehen ins Land, der Muell sammelt sich wieder an, die Baeume vertrocknen. Menschen werden auf das Viertel aufmerksam.
Kinder spielen mit toten Voegeln.
Frauen zuechten Fliegen unter Kuechenabfaellen.

Helft uns doch, wir sind so arm,
seht ihr das nicht?



Oder: Warum die Menschen glauben, dass sich selbst helfen ihnen mehr schadet als nuetzt.