von Nina
Nun schreiben wir euch das erste Mal vom anderen Ende der Welt ; )
Wir sind da und seit heute habe ich auch das Gefuehl langsam hier richtig anzukommen. Obwohl es noch ein bisschen dauern wird, bis es sich hier heimisch anfuehlt.
Vor einer Woche haben wir uns in Hamburg verabschiedet und sind durch einen ewigen Sonnenaufgang geflogen - nach 6 Stunden hab ich mich dann gefreut, dass wir ueber Canada abgebogen sind und es endlich mal richtig hell wurde.
Wir hatten kurz Zeit einmal nach New York reinzufahren und uns auf dem Weg dahin durchregnen zu lassen, weil das Dach undicht war. Ueberall auf den Strassen nur die fettesten Autos - nur der Bus, der ist undicht... Abends landeten wir in Houston, Texas und wurden sehr nett von einer Couchsurfing Familie empfangen. Wie schoen es doch ist, wenn irgendwo in der Fremde ploetzlich Menschen auf einen warten, aufnehmen und sich an ihrem Leben teilhaben lassen - und das voellig ohne Gegenleistung.
Freitag abend ging es weiter Richtung Ecuador und wir hatten das Glueck vom Flugzeug aus den wunderschoenen Vollmondaufgang zu bewundern. Die Menschen um uns herum wurden zunehmend suedamerikanischer - wasn Wunder ; ) - nur die Filme im Flugzeug blieben die gleichen bloeden Ballerstreifen - ein Hoch auf die Kopfhoerer!
Jonas, mein Bruder, holte uns in Quito ab - er war zum Glueck mit seinen fast zwei Metern in der Menge gut zu erkennen.
Er ist nun schon ueber drei Monate hier und seine Umgebung hier kennen zu lernen ist spannend. Nachdem wir ein paar Tage in Quito verbracht hatten - uiuiui ganz schoen anstrengen, auf fast 3000 m eine Erhebung hochzukommen ... - fuhren wir am Dienstag nach Chumbillo alto, das Dorf in dem Jonas als Freiwilliger in der Schule arbeitet.
Wir brauchten ueber zwei Stunden fuer den Weg und eine Fahrt mit dem Bus hier ist immer wieder ein Erlebnis wert. Das Dorf liegt auf einem Berg auf ca. 3200 m und die letzte halbe Stunde fuhren wir mit zwei Lehrerinnen mit, die im Nachbardorf unterrichten und uns mehr aus Pflichtgefuehl als aus Freundlichkeit heraus mitnahmen. Die letzte halbe Stunde zu Fuss und schon standen wir vor der frisch gestrichenen Schule des Dorfes - ein wunderschoener Ausblick empfaengt uns und eine Horde Kinder die etwas verschuechtert, uns mit jedem Tag aber ausgelasser ihr "Buenos días" zurufen. Jonas wird von jedem einzelnd mit "Buenos días, profesor" begruesst.
Luis ist der einzige richtige Lehrer in dem Dorf, Jonas unterstuetzt ihn und Sebastian und ich schauen zu, wie 30 Kinder von 5 - 12 Jahren unterrichtet werden. Der Tag beginnt ca. um halb neun mit einem Fruehstueck aus Kakao und Keksen, jedes Kind bringt seine Tasse mit. Dann irgendwann beginnt der Unterricht mit einem (sehr traurigen) Weihnachtslied. Hier scheint es nicht wichtig zu sein, dass alle Kinder an ihren Aufgaben arbeiten, zwischendurch stehen sie auf, spielen; die Kleinsten arbeiten jeder im eigenen Tempo in einem Aufgabenheft, Hunde rennen durch die Raeume und hoffen auf Nahrung. Irgendwann nach ungefaehr zwei Stunden gibt es eine Pause und die Kinder - alle in Gummistiefeln - rennen raus und spielen Fussball auf einem riesigen Matschfeld. Nachmittags ist frei, die Kinder verteilen sich wieder auf das weit gestreckte Dorf.
Einen Tag unterrichtet Jonas die Aelteren in Englisch. Die schwerste Frage bleibt die, wie es wohl zu schaffen waere, dass sich die Kinder ueberhaupt ein Wort in Englisch merken koennen. Jonas erzaehlt, dass auch nach Wochen Englischunterricht, jedes Mal fragende Blicke auftreten wenn der Satz "How are you?" faellt.
Die Kinder haben Spass daran Karteikarten zu basteln, Tiere auf die eine Seite zu malen und das englische Wort auf die andere, auch sich gegenseitig abfragen macht ihnen Spass, aber sich die Worte merken? Das ist sehr schwer.
Wir gruebeln - wie ist es moeglich etwas zu vermitteln, mit spielerischen Methoden und so, dass die Kinder in der naechsten Stunde auch noch wissen, was "I'm fine" heisst? In diesem Dorf in den Anden, zwei Stunden Fussweg entfernt zur naechsten kleinen Stadt gibt es einfach keine Verbindung zu Englisch. Es kommt nicht, wie bei deutschen Kindern, in ihrem Leben vor. Im Radio laeuft Musik auf Spanisch, Fernsehen gibt es keins, der einzige Computer in der Schule wird erst ab Januar Internet haben.
Seit sieben Jahren gibt es in Chumillos alto eine Schule, vorher gingen die Kinder ins Nachbardorf. Einige Jugendlich gehen auf eine weiterfuehrende Schule in die naechste Stadt. Seit 15 Jahren gibt es Strom im Dorf. Luis, der Lehrer, erzaehlt, dass die Jahreszeiten nicht mehr so klar getrennt sind, wie frueher in der Generation seiner Grosseltern. Das Dorf wandelt sich, vielleicht werden die heutigen Kinder, die jetzt bei Jonas Englisch lernen, nicht mehr in dem Dorf alt werden, vielleicht werden sie in die Stadt gehen und vielleicht werden sie dort Englisch brauchen. Im Moment ist es noch etwas ohne Bedeutung, nicht mehr als eine nette Beschaeftigung, irgendwann wird es vielleicht einmal mehr Stellenwert haben - leider koennte man jetzt denken - oder gut?
Die Naechte sind kalt im Dorf, aber zu dritt in Jonas kleinem Raum ist es sehr gemuetlich. Heute morgen leuchtete ein Schneebedeckter Gipfel in der Ferne, Quito war unter Wolken verborgen.
Bald ist Weihnachten und drei andere Freiwillige die eigentlich in der Tumbaco, einer Vorstadt von Quito, arbeiten, sind in der Dorf gekommen um den Kindern ein Puppentheater vorzuspielen und mit ihnen Kekse zu backen. Da es keinen Ofen im Dorf gibt, haben sie einen Ofen auf dem Pick-up mitgebracht und los geht es: Die Kinder sind aufgeregt, zuerstmal Haende waschen, dann werden die Tische abgewischt und schon sind die Kinder dabei, den Teig plattzudruecken, mit Flaschen auszurollen, Kekse auszustechen und als Hoehepunkt die Kekse mit Lebensmittelfarbe anzumalen. Was fuer ein Spass! Entsprechend sieht der Raum auch hinterher aus - aber die sowieso schon von der Hoehensonne roten Wangen der Kinder leuchten - fuer viele das erste Mal, dass sie Kekse backen. Und sie schmecken gut!
Viele Menschen sind heute im Dorf unterwegs, Kuehe, Schafe und Schweine werden durch die Gegend gefuehrt und Frauen mit traditionellen Roecken und Ponchos druecken sich an den Fenstern der Schule die Nase platt, um zu sehen, was darin gemacht wird.
Am Ende des Vormittags spielt die Dorfband fuer alle ein Dankeschoenstaendchen - Jonas wird als Rhythmusmensch integriert und von allen bejubelt *grins*
Mit den anderen Freiwilligen fahren wir mit elf Menschen in einem Pick-up wieder Richtung Quito. InTumbaco angekommen ist es wie eine andere Welt - Stadt, Gestank, grau, Staub. Kontrast zu der Idylle auf dem Berg. Und ich fuehle mich wohl, merke, dass ich langsam hier ankomme, dass das Herz dieses Landes in den "indígenas", den Einheimischen liegt. Dass es alles andere als grau und verstaubt ist, sondern vielmehr gruen und saftig und voller Schoenheit. Es tut gut, das urspruenglichere Leben zu sehen um zu merken, dass das ganze Grau und der Staub in der Stadt auch einen Kern hat, der ganz anders aussieht.
Ich bin gespannt, was wir hier noch alles entdecken werden.
Sonnige Gruesse,
Nina