Mittwoch, 24. Dezember 2008

Eine Reise nach Mindo

von Sebastian

Ecuador hat viel zu bieten. Wie überall auf der Welt gibt es auch in Ecuador ein paar "places to see before you die," ein paar Orte an denen jeder (Rucksack-)Tourist, der beim großen Tratsch mitreden will, gewesen sein muss. Die Hauptstadt Quito gehört dazu, die heißen Quellen, die Galapagos und mit Sicherheit auch der Nebelwald. Nachdem ich mit Nina und ihrem Bruder eine Woche in Quito und Umgebung verbracht hatte beschlossen wir also für ein paar Tage in den Nebelwald zu fahren. Ahnungslos wie wir waren, steuerten wir ersteinmal die Touristeninformation in Quito an um uns dort die nötigen Informationen zu holen. Dort erzählte man uns von Mindo, einem kleinen Ort im Nebelwald, der einfach per Bus zu erreichen ist und sich gut als Ausgangspunkt für Touren eignet. "Ob man dort auch zelten kann?" fragten wir unsicher, "si, si claro" sagte uns die freundliche Dame und der Plan war gemacht. Wandern, zelten Nebelwald - Adventure at its purrest. Das wir für uns Drei nur ein Zweimanzelt hatten störte uns nicht. Durch den Kauf einer Plane, unter der einer von uns schlafen sollte, war das Problem (ersteinmal) behoben.

Ein paar Tage später stehen wir am Busbahnhof. Der nächste Bus nach Mindo fahrt erst in 4 Stunden. Halb so schlimm. Ich nutze die Zeit für einen Stadtbummel während Nina und Jonas sich im Internetcafé vor der heißen Sonne schützen. Das Viertel in dem ich herum schlendere gehört nicht zu den feineren von Quito. Ich sehe nur sehr wenige Blondschöpfe auf den Straßen. Ob ich hier wohl als Ausländer auffalle? Niemand schaut mich an und ich bilde mir ein, dass ich durch die braunen Haare und den dunklen Bart nicht ganz so fremdländisch aussehe. Ich versuche so zu tun, als ob ich genau weiss wo ich hinwill - habe aber eigentlich keine Ahnung. Mit meinem Spanisch schaffe ich es gerade noch mir in einem Café eine Cola zu bestellen. Leider ist sie warm. Was "gekühlt" heißt, ist mir bisher noch unbekannt. Auch darf ich die Flasche nicht mit hinausnehmen wie ich es erst vor hatte. "Vermutlich will der Wirt nicht auf das Pfandgeld verzichten", denke ich mir und freue mich über den so gewonnen Schatten.

¡Adios Quito! Als wir im Bus sitzen wird uns schnell klar wohin die Reise geht. Neben, vor und hinter uns sitzen große blonde Menschen mit Funktionskleidung a la Globetrotter Ausrüstung und Jugendliche mit Skaterschuhen und weiten Pullovern. Auch ein paar buntgekleidete Langhaarige sind dabei. "Bienvenidos en Gringolandia," würden die Ecuadorianer jetzt sagen. Herzlich Willkommen in der Touristenkutsche! Natürlich haben nicht nur wir den "Tipp" von der Touristeninformation bekommen. Wir freuen uns - trotzdem oder deswegen und genießen den Blick aus dem Fenster. Auf halber Strecke - wir sind schon mitten im Nebelwald - bleibt der Bus plötzlich stehen. Die Autoschlange vor uns versperrt den Weg. "Was nun - Unfall, Überfall oder was?" Nein, nichts dergleichen. Der Berg, der sich zu unserer Linken erhebt ist in Teilen auf die Straße hinabgestürzt. Dieser Zustand dauert wohl schon seit längerem an. Die vielen Händler die sich am Straßenrand niedergelassen haben und uns "Empanadas", "Bebidas" und andere Köstlichkeiten verkaufen deuten darauf hin. Bald erfahren wir dass eine Spur schon wieder zu befahren ist und die Bauarbeiter ab und zu einen Stoß Autos durchlassen. Wir haben Glück. Nach einer guten halben Stunde dürfen wir durch.

Mit Einbruch der Dämmerung erreichen wir Mindo. Ein kleines Dorf mir 2000 bis 3000 Einwohnern. Es sieht so aus wie wir es uns vorgestellt hatten. Wir sehen bunte Reklameschilder auf Spanisch und Englisch, die für billige Unterkünfte und jegliche Art von Abenteuertourismus werben. Auf den Straßen und in den vielen Kneipen sieht man hauptsächlich junge Menschen europäischer Herkunft. Es ist feucht und heiß. Fast wie im Regenwald. "Ob man hier auch zelten kann?" fragen wir uns wieder. Für die erste Nacht wollen wir uns eine Herberge leisten. Kaum sind wir aus dem Bus raus spricht uns eine Frau auf Englisch an und fragt ob wir "guys" den noch etwas zum schlafen brauchen. Vorsichtshalber verneinen wir und finden dann aber auch schnell eine Unterkunft, die sich als sehr gut erweist. Wir kommen in einem richtigen "Dschungelhotel" unter. Ein dreistoeckiges, verwinkelt gebautes Holzhaus das die Wände teilweise offen hat. Die Bauart erinnert mich eher an die eines Baumhauses. Es gefällt uns und unter den Moskitonetzen ist uns eine halbwegs ruhige Nacht gesichert.

Am nächsten Tag müssen wir mit bedauern feststellen, dass das Zelten hier nur auf ausgewiesen kommerziellen Plätzen möglich ist (für die muss man dann mehr bezahlen als für unser Hotel). So haben wir uns das nicht vorgestellt. Abseits von Wegen und Plätzen gibt es schlicht kein Durchkommen. Auch der Nebelwald wächst, wie ein Regenwald in drei Schichten und ist nicht mit einem sauber aufgeräumten deutschen Wald zu vergleichen. Aufgrund dessen ändern wir, spontan wie wir sind, unsere Reisepläne dahingehend, dass wir von unseren Zeltplaenen absehen und auf unser Dschungelhotel als "Basisstation" zurück greifen. Auch das wandern ist nicht so einfach. Es gibt zwei Waldwege die den Berg hinauf führen und als Zugangswege zu den zahlreichen Attraktionen wie Wasserfällen, Schmetterlingsbeobachtung, Raffting und Seilbrücken dienen. Als einfache Wandertouristen sind wir hier wohl eher die Außenseiter. Auf Fußvolk treffen wir unterwegs eher selten. Ueberholt werden wir nur von den stinkenden Pick-ups, die die abenteuerhungrigen Touristen zu den Attraktionen bringen. Als wir ganz oben am Ende des öffentlichen Weges ankommen, der Rest ist privat, erkaufen wir uns für nur drei Dollar pro Person den Zugang zu einer wunderschoenen Wasserfalllandschaft. Auf dem Gelände durch dessen Mitte sich ein großer Fluss zieht gibt es eine Wasserrutsche, eine Badestelle und einen Sprungfelsen von dem aus man aus zwoelf Metern Hoehe in den Fluss springen kann. Wir machen nichts davon, schauen einfach nur, laufen, sitzen und staunen. Neben der Badestelle wurde ein grosser Barcomplex aus Beton, Holz und Bambus installiert. Es sieht aber, wie vieles hier in Ecuador, unfertig und ungenutzt aus. Das Gebaeude ist verfallen, die Bar leer, Muell liegt herum, die Eisentraeger schauen noch aus dem Beton heraus. Man kann nicht erkennen ob die Bar jemals fertig gebaut wurde oder ob sie ihre besten Zeiten schon hinter sich hat. Konnte hier einfach nicht mehr verwirklich werden was irgendein Idealist geplant hatte oder haben die Ecuadorianer einfach andere, nicht so perfektionistische Ansprueche wie wir. Wie auch immer, die Menschen im Wasser haben Spass und wir auch. Als der Regen hereinbricht machen wir uns auf den Heimweg. Der Eintritt hat sich gelohnt.
Auf dem Rueckweg treffen wir Nelson und fueren ein interessantes Gespraech. Nelson war vor 20 Jahren masgeblich daran beteiligt den Tourismus nach Mindo zu holen. Er erzaehlt uns, dass es in den 80er Jahren noch keinen Tourismus in Mindo gegeben hat. Die Menschen haben von der Fischerei, Rinderzucht und dem Wald gelebt. Ihm und einigen anderen war das auf Dauer zu eintoenig. Sie beschlossen den Wald unter Schutz zu stellen, privatisierten ein Teil davon und machten es fuer Touristen attraktiv. Es dauerte lange bis die Plaene duchgeschlugen, aber nun lebt bereits ueber 80 % des Dorfes vom Tourismus. Wir fragen viel und Nelson erzaehlt uns auch ungefragt, dass seit einigen Jahren Muel getrennt wird, die Loehne gestiegen sind und Maenner wie Frauen gleichviel verdienen. Scheinbar bekommt er Fragen die in diese Richtung gehen oefter. Weil er so viel mit Touristen spricht, hat Nelson kuerzlich angefangen Zeitung zu lesen. So ist er immer informiert und kann alle neugierigen Fragen beantworten wie er sagt. Aufgeklaert gehen wir nach Hause. Es scheint diesem Dorf gut zu gehen. Uns fallen keine negativen Auswuechse des Tourismus auf. Mit einem selbstgekochten Essen und Karten spielen beschliessen wir den Tag.

Nach einer ruhigen Nacht bestaunen wir noch die Schmetterlinge die in einer Art Gewaechshaus gezuechtet werden. 80% der Tiere behalten sie dort und 20% werden wieder ausgesetzt. So viele Schmetterlinge sieht man nur noch selten. Wir machen viele Fotos um das bunte Geflimmer festzuhalten. Nina erzaehlt uns von dem Unterschied zwischen Regenwald und Nebelwald. Waehrend man Regenwaelder gewoehnlich in der Ebene findet, sind die Nebelwaelder meist an Haengen angesiedelt. Da sich zwischen den Bergen viele Wolken fangen herrscht im Nebelwald ein ganz anderes Klima als im Regenwald.
Auf dem Rueckweg sehen wir wie eine Gruppe von Erwachsenen sich auf einem Floss aus Gummireifen den Fluss hinunter treiben lassen. Nach wenigen hundert Metern werden sie weiter unten am Fluss wieder von ihren Guides in Empfang genommen. Ich frage mich, ob so etwas ein Abenteuer sein kann, ob es das Geld der Leute wert gewesen ist. Kann man Abenteuer ueberhaupt erkaufen? Was fuer abwegige Gedanken. Wenn ich in die Gesichter der Menschen auf dem Floss blicke muss ich beide Fragen klar mit ja beantworten. Jeder lebt sein eigenes Abenteuer, hoffentlich. Mein Abenteuer sieht anders auch. Zurueck im Hotel packen wir unsere Sachen. Unter dem Bett entdecke ich noch ein Sechserpack Dosenbier (Marke Pilsner aus Kolumbien) das mein Vorgaenger wohl vergessen haben muss. Ich packe die Dosen ein, natuerlich. Dosenbier - soetwas habe ich auch lange nicht mehr gesehen. Das ist ja auch schon fast abenteuerlich.

Die Rueckfahrt bietet wenig neues. Die Baustelle besteht immer noch, diemal warten wir eine Stunde, die Gesichter im Bus sind mir auch schon bekannt und ich bin muede. Abends sind wir in Quito. Wir machen uns Nudeln mit Gemuese. Dazu gibt es Dosenbier.

Bilder von Mindo:
Mindo I-Seite